spiel-2014-essen-156Nebel hängt über den Wäldern Russlands, als die Sonne langsam hinter dem verschlafenen Städtchen Wladiwostok in Russland aufgeht. Nicht weit entfernt weckt jedoch ein Geräusch die Bewohner aus ihrem Schlaf. Ein lauter Piff ertönt und der schwere Duft von heißem Öl und Kohle steigt durch die Gassen der Stadt.

Wir schreiben das Jahr 1891. Mittlerweile erobern Dampflokomotiven die ganze Welt. Überall entstehen neue Strecken und verbinden einst unendlich weit entfernt geglaubte Städte in wenigen Stunden miteinander. Doch diese Strecke, zu der 1891 der Spatenstich fällt, ist keine gewöhnliche Strecke. Es ist der Beginn der größten Eisenbahnstrecke aller Zeiten – der Transsibirischen Eisenbahn. Und wer könnte dieser Aufgabe besser gewachsen sein als Sie?! Bauen Sie die Strecke aus, engagieren Sie fähige Arbeiter, errichten Sie Fabriken für die notwendigen Gleisarbeiten und zeigen Sie der gesamten Welt, dass Sie dieses Wunder vollbringen können!

Was steckt drin

Das Spielmaterial von Russian Railroads kann sich sehen lassen. Dreh- und Angelpunkt ist der zentrale Spielplan, der an ein großes Entwurfsbrett erinnert. Daneben gibt es insgesamt 48 Gleise aus Holz (aufgeteilt in 5 Farben), Arbeiterfiguren, diverse Pappkärtchen und Münzen, ein paar Spielkarten und Spielertafeln aus stabiler Pappe. Und um eines vorweg zu nehmen: Eine wunderbar geschriebene Spielanleitung, welche keine Fragen offen lässt.

Spielaufbau
Jeder Spieler erhält seine zentrale Spielertafel, auf der er alle im Bau befindlichen Strecken im Überblick hat, seinen Fuhrpark verwaltet, Fabriken baut und seine Ingenieure anheuert. Neben der transsibirischen Eisenbahnstrecke kann man auch noch zwei kleinere Strecken errichten. Je nachdem wie weit eine Strecke im Bau fortgeschritten ist, erhält man besondere Boni, welche an der entsprechenden Stelle gleich auf der Spielertafel abgebildet sind. Man hat somit alles Wichtige im Blick.Russain_Railroads_Spielplan

Der große Spielplan in der Mitte des Tisches stellt zum einen die Punkteübersicht dar, zum Anderen aber auch alle Möglichkeiten, die ein Spieler ausführen kann. Er ist dabei in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Auf der linken Seite sind alle Aktionen zum Gleisbau abgebildet, in der Mitte befindet sich die Zugreihenfolge, rechts daneben lassen sich Lokomotiven einkaufen und Fabriken errichten und im unteren Bereich bieten verschiedenste Ingenieure ihr Wissen an. Jedes Feld zeigt zudem eine eindeutige Illustration, so dass man das Regelheft nach einer kurzen Erklärphase kaum noch benötigt. Nun erhalten alle Spieler noch 5 Arbeiter und 1 Gold, setzen ein schwarzes Gleis auf jeden Streckenbeginn und losen die Startaufstellung aus.

Spielverlauf

Das Spielprinzip von Russian Railroads ist simpel. Ist ein Spieler an der Reihe, wählt er ein unbesetztes Aktionsfeld auf dem Spielplan aus, setzt die dort angegebene Anzahl Arbeiter (oder Gold) ein und führt die Aktion aus. Was so simpel klingt, ist in Wahrheit jedoch ein Kampf mit sich selber, denn das Spiel lässt einem viele Möglichkeiten und man möchte am liebsten alles auf einmal ausführen. Doch alles schön der Reihe nach.

Streckenbau
Alle Spieler starten auf der Streckenbauleiste mit einem schwarzen Gleis. Dies stellt die niedrigste Gleisstufe dar und gibt am Ende (ohne entsprechende Bonuskarte) keine Punkte. Wenn man mit Russain_Railroads_Spielertafeldem schwarzen Gleis jedoch auf der transsibirischen Strecke eingezeichnete Wegpunkte erreicht, erhält man graue und später auch rote, beige und weiße Gleise. Diese stehen für den unterschiedlich guten Ausbau der Strecke.

Zum Spielende zählen die verschiedenen Farben auch unterschiedliche Siegpunkte, weshalb es von Vorteil ist, fleißig an den Strecken zu bauen. Dazu setzt man Arbeiter auf ein entsprechendes Feld auf dem großen Spielplan und darf mit dem Gleis der angegebenen Farbe entsprechend viele Felder vorrücken. Da man jedoch gleichzeitig an 3 verschiedenen Strecken baut, sollte man sich gut überlegen, welchen Streckenabschnitt man vorantreibt.

Jede Strecke besitzt nämlich unterschiedliche Boni, beispielsweise erhält man eine Spielendekarte (mit Wertungsbonus) oder einen zusätzlichen Arbeiter. Auch muss man immer die Reihenfolge der Gleisfarben einhalten. Ein grauer Stein darf niemals einen schwarzen Gleisstein überspringen, genauso wenig ein roter Stein einen grauen überholen darf. Hier heißt es genau zu überlegen, welche Gleisfarbe man bewegen möchte und überhaupt kann.

Lokomotiven
Was nützt einem die schönste Strecke ohne etwas, das auf ihr fährt?! Zu Beginn startet man mit einer uralten Dampflok, welche gerade einmal 2 Felder weit fahren kann. Bei der Wertung am Rundenende gibt es jedoch nur für die Felder Punkte, die mit der Lokomotive erreicht werden können. Auch bestimmte Boni setzen eine entsprechende Lok voraus. Aus diesem Grund sollte man sich auf dem Lokmarkt umsehen und dort Arbeiter einsetzen, um seinen Fuhrpark zu erweitern.

Insgesamt gibt es 9 verschiedene Loktypen mit entsprechender Reichweite. Stellt ein Spieler die benötigten Arbeiter auf eines der Aktionsfelder, nimmt er sich vom Stapel der Lokomotiven die Lok mit der niedrigsten Zahl weg und legt sie an eine seiner Strecken an. Die Transsib-Strecke kann aufgrund ihrer Größe sogar mit 2 Lokomotiven befahren werden. Sollte eine Lok nicht mehr benötigt werden, dreht man das Plättchen auf die Rückseite und legt es fortan als Fabrik auf den Spielplan.

Fabriken
Auf der Rückseite der Lokomotivplättchen sind Fabriken abgebildet. Möchte ein Spieler eine Fabrik bauen, setzt er seine Arbeiter auf das selbe Feld wie für den Lokomotivbau. Er nimmt sich wieder eine Lokomotive mit der niedrigsten Zahl, dreht dieses Plättchen jedoch auf die Rückseite und legt es an seiner Spielertafel an. Es kann jedoch stattdessen auch eine bereits zurückgelegte Fabrik genommen werden.

Industrialisierung
Die Industrialisierung bringt am Ende jeder Runde Punkte und ermöglicht zudem die einmalige Benutzung der Fabriken, die ein Spieler gebaut hat. Um die Industrialisierung voranzutreiben, setzt man entsprechende Arbeiter auf das Aktionsfeld und darf seinen Industrialisierungsmarker ein bis zwei Felder weitersetzen. Sobald dieser auf eine Fabrik gezogen wurde, darf man deren Aktion ausführen.

Beispielsweise darf man sich eine kostenlose Lokomotive nehmen oder seine Gleise weiterziehen. Man könnte jetzt sagen, warum Fabriken bauen, wenn diese Züge meist auch so zur Auswahl stehen?Die Industrieleiste weist leider 5 Lücken auf. Erst wenn eine Fabrik in diese Lücke gesetzt wird, kann man seinen Marker weiterziehen. Ohne Fabriken kommt man also nicht sehr weit und erhält nur wenige Punkte.

Ingenieure
In Russian Railroads lassen sich auch Spezialisten anwerben, welche bestimmte Aktionen ermöglichen. Pro Runde kann genau 1 Ingenieur angeworben werden. Wenn ein Spieler eine Münze ausgibt, kann er diesen an seine Spieltafel legen und fortan als Aktion nutzen. Der Vorteil besteht darin, dass Mitspieler diesen Ingenieur nicht nutzen können und man in aller Ruhe andere Züge planen kann. Es gibt auf dem Spielplan auch zwei noch nicht anwerbbare Ingenieure. Diese lassen sich von allen Mitspieler als normales Aktionsfeld nutzen. Nach jeder Runde wird einer dieser Ingeniere anwerbbar und ein neuer nachgezogen.

Spielerreihenfolge
Um Startspieler zu werden, muss man einen Arbeiter auf das entsprechende Feld setzen. Sollte dies besetzt sein, kann man sich noch auf das Feld für den zweiten Spieler setzen. Der Clou: Bevor die aktuelle Runde endet darf man zuletzt diese Arbeiter noch für eine weitere Aktion nutzen.

Rundenende
Nach jeder Runde erfolgt eine Zwischenwertung. Man bekommt Punkte für jede Strecke, jedoch nur für die Gleisfelder, die mit einer Lok auch tatsächlich erreicht werden können. Hier gilt es auch genau aufzupassen, denn je nach Gleistyp gibt es unterschiedlich viele Punkte. Auch können Bonusplättchen die Punkte einzelner Felder verdoppeln. Aus diesem Grund bietet es sich an, gemeinsam die Punkte zu ermitteln, damit man nichts übersieht oder verwechselt. Weitere Punkte gibt es für den Fortschritt auf der Industrialisierungsleiste. Wurden alle Punkte ermittelt, bewegt man die Marker auf der Siegpunktleiste entsprechend vor.

Spielende
Je nach Spieleranzahl endet Russian Railroads nach 7 bzw. 6 Runden. In der letzten Runde findet neben der normalen Wertung noch eine Schlusswertung statt. So gibt es noch Zusatzpunkte, wer die meisten/zweitmeisten Ingenieure angeworben hat und es werden die Spielendekarten gewertet, die man während des Spiels erhalten kann. Diese Karten bringen beispielsweise Sonderpunkte für jede Strecke die komplett fertig gestellt wurde oder für die Anzahl der im Besitz befindlichen Fabriken.

Wie spielt es sich
Das erste was man bei einem neuen Spiel macht, ist die Anleitung lesen. Und hier muss ich ein großes Lob aussprechen, sie ist einfach wunderbar geschrieben. Selten ist eine Anleitung so gut verständlich, strukturiert und ansprechend illustriert aufgebaut – super! Das spiegelt sich auch am Spielplan und den Spielertafeln wieder. Trotz der vielen Möglichkeiten und allerlei Anzeigen für Boni, neue Gleise, Siegpunkte, etc. behalten sie ihre Übersichtlichkeit bei und sind hübsch gestaltet.

Das Spielmaterial rundet diesen positiven ersten Eindruck ab. Es besteht zwar zum Großteil aus Pappe, doch diese ist stabil und die Arbeiter & Gleise sind aus Holz gefertigt, was dem Spielgefühl wieder zu Gute kommt. Fertigungsfehler konnte ich keine entdecken, alles war sauber verarbeitet. Besonders gelungen sind die 9 verschiedenen Lokomotivplättchen. Angefangen bei einer Urlokomotive können die Spieler immer leistungsstärkere und anmutig wirkendere Loks erwerben. Hier kommt der Bahnfan auf seine Kosten. Doch ist die Mechanik des Spiels genauso lobenswert wie das Material aus dem es besteht?

Russain_Railroads_SpielverlaufIch antworte eindeutig mit: Ja!
Russian Railroads möchte ein komplexes Spiel für Anfänger/Fortgeschrittene sein und dem wird es in jeder Hinsicht gerecht. Wenn man am Zug ist, möchte man am liebsten gleich alles tun. Gleise ausbauen um neue Gleisfarben zu erhalten, Lokomotiven kaufen um Boni freizuschalten, Fabriken und Ingenieure könnten auch nicht schaden und ach ja, man hat gleich drei Baustellen (Strecken) an denen man werkeln kann.

Da die Möglichkeiten relativ groß sind, gibt es auch etliche Strategien die es auszuprobieren gilt. Welcher Weg der Richtige ist, kann man auch von den Karten abhängig machen, die man während des Spiels erhält. Wenn man beispielsweise eine Karte besitzt, die am Spielende für jede Fabrik Extrapunkte bringt, sollte man eher auf die Industrialisierung statt Streckenbau setzen. Einsteiger könnten anfangs noch etwas überfordert wirken und einfach drauf los spielen, doch auch mit dieser Spielweise kann man durchaus gewinnen.

Was einige Spieler eventuell abschrecken könnte – und damit komme ich zum einzigen Stolperstein – ist die Gleiswertung. Diese ist zwar nicht sonderlich schwer zu verstehen, doch muss man sie verinnerlichen und sehr konzentriert bleiben. Generell muss man in Russian Railroads viele Punkte zählen und sollte entweder gut im Kopfrechnen sein oder einen Taschenrechner bereitlegen. Punktzahlen von 300 bis 400 sind in diesem Spiel keine Seltenheit.

Aufgrund der vielen Aktionsmöglichkeiten sollte man bei einer Partie ca. 2-3 Stunden einplanen, vor allem wenn man Strategen wie mich in der Runde hat, die das ein oder andere Mal etwas länger überlegen. Das angegebene Alter von 12 Jahren halte ich für etwas niedrig angesetzt, wenn man das Spiel nicht einfach irgendwie spielen, sondern vorausschauend planen möchte. Daher empfehle ich ein Alter ab 15 Jahren.

Positiv zu erwähnen ist zudem die Spielbarkeit bei unterschiedlicher Personenzahl. In der Anleitung sind die Änderungen für den Spielaufbau für 2 und 3 Personen beschrieben, was auch sehr gut funktioniert. Generell würde ich wenn möglich jedoch mit 4 Personen spielen, da hier die Herausforderung und der Spaß am größten ist.

Fazit
Was benötigt man für ein sehr gutes Spiel? Ich würde sagen eine ausgezeichnete Anleitung, tadelloses Material, eine wohlüberlegte Mechanik und viel Freude während des Spielens. All das hat meiner Meinung nach Russian Railroads und ist daher eine klare Kaufempfehlung. An keiner Stelle erhält man den Eindruck, dass es hakt, alles greift nahtlos ineinander über. Wer sich an ein komplexes Spiel langsam rantasten möchte, wird um den Kauf kaum vorbeikommen.

Name: Russian Railroads
Spieler: 2-4
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: 120 min
Autor(en): Helmut Ohley, Leonhard Orgler
Verlag: Hans im Glück

Russian Railroads
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