“Der Spielplan wird in die Mitte gelegt” – ein Tutorial zur Erstellung einer verständlichen Spielanleitung

spielregel

Version 2: 19.02.2011

I. Einleitung
Ein Spiel kann einen tollen Mechanismus haben, interessante Abläufe, Interaktion und Kooperation etc., Wenn die Spieler es nicht verstehen, werden sie es nach dem ersten Versuch, es zu spielen, in der Ecke liegen lassen.

Spielregeln zu schreiben, die das Spiel angemessen und verständlich erklären, ist keineswegs eine leichte Angelegenheit. Selbst großen und erfahrenen Verlagen misslingt dies immer wieder, erst recht, wenn die ursprünglichen Spielanleitungen aus einer fremden Sprache ins Deutsche übersetzt werden.

Dieses Tutorial soll eine Hilfe für eine klare Struktur und verständliche Bezeichnungen in Spielregeln darstellen. Autoren, Verlage und besonders Übersetzer von Spielregeln können sich daran orientieren und werden es leichter bei der Erstellung einer verständlichen Spielanleitung haben. Bestehende Spielregeln können anhand dieses Leitfadens auf Verständlichkeit geprüft und optimiert werden. Das kann sich übrigens auch lohnen, denn der Friedhelm Merz Verlag verleiht alljährlich auf den internationalen Spieletagen den Preis “Die Essener Feder” für eine vorbildlich erstellte Spielanleitung.

Freuen werden sich alle “Gernspieler” und auch Spiele-Erklärer / Spiele-Supporter, wenn sie eine klar strukturierte Anleitung in der Schachtel vorfinden und mehr Zeit für das Spiel selbst, als für das Verstehen der Regel verwenden können.  Das gilt übrigens auch und gerade für komplexe Spiele. Bei ihnen dauert es zwar generell länger, die Regel zu verstehen, aber auch hier hilft eine klare Struktur und eindeutige Bezeichnungen der Elemente.

II. Bestandteile der Spielregel

Rahmenbedingungen
Damit eine Spielgruppe sich für ein Spiel entscheidet, sollte es die Rahmenbedingungen kennen. Für wen ist das Spiel geeignet? Wie viele Spieler können teilnehmen? Gibt es Varianten für bestimmte Spielerzahlen? Welche ungefähre Dauer erfordert das Spiel?

All diese Informationen sollten nicht nur auf der Packung stehen, sondern auch als kurzer Hinweis in der Spielregel untergebracht werden, damit die teilnehmenden Spieler dies überprüfen können. Besonders die Spieldauer kann stark abweichen, wenn das Spiel zum ersten Mal gespielt wird und die Spielregel durchgeackert werden muss.

Ziele
Ohne ein Spielziel macht ein Spiel beinahe keinen Sinn. Daher ist es wichtig, ein Spielende zu definieren. Wie gewinnt man das Spiel, welche Bedingungen gibt es, dass das Spiel sonst noch endet? Wie ist Gleichstand geregelt? Natürlich gibt es Spiele, die nicht durch Sieg oder Niederlage enden, aber auch hier kann meist ein genau definiertes Spielziel benannt werden.

Namens–Konventionen
Für die verschiedenen Bestandteile des Spiels sollte es eindeutige Namensbezeichnungen geben. Die Verständlichkeit der Regel verbessert sich deutlich, wenn die Terminologie im gesamten Regeltext eingehalten wird und sie mit der Rahmengeschichte des Spiels zu tun hat.

So könnten Personenkarten eigene Namen oder Titel haben, Orte, Regionen, Gegenden könnten genau bezeichnet sein und auch Spielzüge und Spielphasen jeweils einen Namen haben. Es fällt dann leichter, die Zuordnung der Spielbestandteile im Kopf zu behalten. Besonders wird sich das bewähren, wenn die Spieler später beim Spielen über ein bestimmtes Regel-Detail diskutieren. Wenn Farben eine Bedeutung haben, sollten diese nicht als selbstverständlich angenommen werden, sondern beschrieben und erklärt werden.

Den Spielplan und das Spielmaterial vorstellen
Die wichtigsten einzelnen Bestandteile des Spiels sollten aufgelistet sein, um die Orientierung zu erleichtern. Bei Karten sind die Unterschiede der Karten und Funktionen deutlich darzustellen. Sollten viele einzelne Karten Detailfunktionen haben, ist es sinnvoll, einen Index aller Karten beizufügen. Schon hier gilt: eindeutige Bezeichnungen und Namensgebungen sollten unbedingt beibehalten werden. Heißt ein “Marker” hier “Siegpunktemarker”, sollte er nicht unten weiter “Markierungsstein” genannt werden.

Übrigens: Bei der Alters-Empfehlung sollten nicht nur die spiel-relevanten Kriterien berücksichtigt werden, sondern auch das Material. Befinden sich Kleinteile im Spiel, an denen sich Kinder verschlucken könnten? Kann das Kind mit den Spielmaterialien umgehen? Muss das Kind rechnen, schreiben oder lesen können, wenn ja in welcher Entwicklungsstufe? Ist das Spiel mit Senioren spielbar? etc.

Spielaufbau
Besondere Aufmerksamkeit ist generell dem Spielaufbau zu widmen. Die Spieler kennen beim ersten Spiel die Ausstattung noch nicht und lernen Bezeichnungen und Bedeutung erst nach und nach kennen. In der Beschreibung des Spielaufbaus sollte daher große Sorgfalt und Genauigkeit herrschen.

“Der Spielplan wird in die Mitte gelegt” – dieser Satz ist als Einleitung eines Spielaufbaus ein Klassiker und wird manchmal um den Nebensatz “…so, dass er von allen Spielern gut erreichbar ist” ergänzt. Eigentlich ist er aber paradox, denn Spielpläne werden bei Brettspielen automatisch fast immer in die Mitte auf den Tisch gelegt, es sei denn, sie bestehen aus mehreren Teilen, die in bestimmter Form angeordnet sein müssen. In diesem Fall und wenn es erforderlich ist, dass weitere Spielbestandteile auf, neben oder an den Spielplan gelegt werden müssen, sollte dies genau beschrieben und idealerweise grafisch hervorgehoben werden.

Startspieler wird…
inzwischen hat sich eingebürgert (und sorgt bereits zu Spielbeginn für ein kommunikatives Element), dass ein von den Spielern erlebtes Ereignis den Startspieler bestimmt. Beispiel: “Wer als Letzter eine Pizza gegessen hat, fängt an”.

Die Spieler–Reihenfolge
Es muss nicht immer im Uhrzeigersinn gespielt werden. Manchmal bestimmen die Ergebnisse aus der vorherigen Runde die Reihenfolge der aktuellen Rolle. In solchen Fällen sollte ein Startspieler-Stein oder eine andere Kennzeichnung des aktiven Spielers verwendet werden. Die Spieler-Reihenfolge ist also nicht selbstverständlich, daher sollte es nicht vergessen werden, dies in der Spielanleitung explizit anzugeben.

Im Spiel befindlich…
In manchen Spielen ist es notwendig, eindeutig zu klären, wann eine Figur oder eine Karte “im Spiel” ist. Gemeint ist der Zeitpunkt, von wann bis wann der Effekt der Figur/Karte gilt. Es sollte dabei auch darauf geachtet werden, dass zwischen “temporär” (nur für diesen Spielzug oder diese Runde) und “permanent” (für den Rest des Spiels oder bis zu seiner Entfernung) unterschieden wird.

Versorgung
Wenn Ressourcen gesammelt werden, sollte klar beschrieben sein, woher diese kommen, wo diese gelagert werden dürfen und wie lange. Müssen Karten oder Ressourcen nachgezogen werden, geschieht dies, soweit nicht unmittelbar durch eine Aktion, über eine Versorgungsphase. In vielen Spielregeln werden diese Phasen nicht gesondert dargestellt. Es empfiehlt sich aber zugunsten der Klarheit des Spielablaufs, für das Nachziehen eigene Versorgungsphasen oder -Aktionen einzuführen. Dies verringert auch den Umstand, dass das Nachziehen während des Spiels vergessen wird.

Orte
Die Spielanleitung sollte genau angeben, wo und wie viele Karten oder Spielsteine gezogen werden und wo sie hingelegt werden, wenn sie verwendet wurden. Auf einen Ablagestapel werden Karten oder Gegenstände gelegt, nachdem sie verwendet wurden. Ein Spiel kann verschiedene Ablagestapel haben oder Vorratsstapel für mehrere Ressourcen. Ist Spielgeld im Spiel, gibt es in Anlehnung an Monopoly die “Bank” als allgemeinen Ablagevorrat.  Nicht vergessen zu erwähnen, ob solche Ablagen auf dem Spielplan vorhanden sind, oder daneben.

Aufräumen
Es kann sein, dass in einem Spielzug viele Bereiche des Spiels und mehrere Gegenstände bewegt oder verändert wurden. In diesem Fall ist eine Aufräum–Phase vonnöten, in der das Spiel für den folgenden Spieler oder die folgende Runde vorbereitet wird, bzw. in den Startzustand gebracht wird.

Karten und Plättchen verdeckt oder offen?
es sollte immer genau beschrieben werden, ob Handkarten, verdeckte Karten/Plättchen oder offen ausliegende Karten/Plättchen verwendet werden.

Spielablauf
Das Herzstück des Spiels ist sein Spielmechanismus. Der genaue Ablauf der Spielzüge, Phasen und Aktionen entscheidet über Spannung und Kurzweil. Besteht ein Spielzug aus verschiedenen Aktionen, sollte immer die Reihenfolge klar festgelegt sein. Alternativen sollten deutlich gekennzeichnet sein. Was darf ich wann in welcher Reihenfolge tun? Jede einzelne Aktion sollte verständlich beschrieben sein.

Komplexe Spiele haben oft mehrere Spielphasen und darin verschachtelte einzelne Spielzüge oder wählbare Aktionen. Bevor diese im Einzelnen beschrieben werden, sollte immer bereits der grundlegende Spielablauf bekannt sein. Es sollte darauf geachtet werden, dass zu erkennen ist, zu welcher Spielphase eine einzelne Aktion gehört.

Würfeln
Würfeln ist ein Grundelement vieler Brettspiele und bestimmt meist, aber nicht immer, den Glücksfaktor im Spiel. Bei der Verwendung von Würfeln sollte immer genau angegeben werden, wie viele Würfel benötigt werden, und wie oft damit geworfen werden darf. Auch ungültige Würfe sollten erwähnt sein, z.B. “Brand” oder Herunterfallen.

Wenn die Würfelzahl eine Ressource angibt, sollte angegeben sein, wie der Wurf auszuwerten ist: aufgerundet, abgerundet, absolut, geteilt etc. Bitte beachten: In der klassischen Spielewelt ist der 6-seitige Würfel (W6) das Maß aller Dinge. Bei unerfahrenen Spielern werden Würfel mit anderen Zahlen sehr oft als ungewöhnlich empfunden und sollten daher gesondert vorgestellt werden.

Effekte auf Spieler
Ein Effekt ist das Ergebnis eines Spielzugs, einer Karte oder einer Aktion, der unterschiedliches Ausmass haben kann. Welche und wie viele Spieler sind betroffen? Gilt der Effekt für alle, nur für Gegenspieler, nur für den aktiven Spieler? Ausdrücke wie “alle Spieler”, “der aktive Spieler”, der “benachbarte Spieler” sind daher besser und eindeutiger als “der Spieler” ohne weiteres Attribut.

Übersichtlichkeit
wenn das Spiel in Runden, Spielphasen und einzelne Züge verschachtelt ist, sollte in der Anleitung immer eine Schnellübersicht der Zugreihenfolge eingefügt sein. Die Kunst ist es dann, von den Haupt- Spielzügen auf die Details überzuleiten. Besonders nachhaltig ist es, dafür eine Übersichts–Grafik anzufertigen. Ein Bild oder Symbol sagt mehr als tausend Worte….

III. Besonderheiten von Sprache und Layout, insbesondere bei Übersetzungen

Die folgenden Punkte basieren im Wesentlichen aus dem Feedback, das wir bisher erhalten haben, insbesondere einigen Anmerkungen von Frank Strauss, der unter anderem die Spielanleitungen von Vasco da Gama, Vinhos und Target Earth ins Deutsche übersetzt hat. Frank ist der Meinung, dass eine gute Übersetzung im Idealfall so geschrieben ist, dass man nicht merkt, dass es sich um eine Übersetzung aus einer fremden Sprache handelt.
(Näheres über dieses Link zu Franks Spielanleitungen auf >>Boardgamegeek)

Rechtschreibung und Grammatik
Unabhängig von der sowieso leicht irritierenden Tatsache, dass es die “alte” und die “neue” Rechtschreibung gibt, leiden besonders Spielregeln, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt worden sind, oft an einer Vielzahl von Rechtschreibfehlern und besonders an Grammatikfehlern. Es reicht meist nicht aus, nur das Korrekturprogramm der Textverarbeitung zu nutzen, man muss auch selbst die Sätze und Zeichensetzung kontrollieren. Der englische Satzbau unterscheidet sich beispielsweise deutlich vom Deutschen.

Beispiel

Englisch: The gameboard is to be placed in the middle
Denglisch: Der Spielplan ist zu platzieren in die Mitte

Deutsch: Der Spielplan wird in die Mitte gelegt.

Bezeichnungs-Ethik, Beschreibung von Konflikten

Die deutsche Vergangenheit macht manchmal eine Konfliktbeschreibung in einem Spiel schwierig, da viele Wörter negativ belegt sind oder als kriegsverherrlichend missverstanden werden können. Prominentes Beispiel ist Risiko, bei dem in früheren Versionen von “Erobern”, später aber von “Befreien” in den Missionskarten die Rede ist.  Bei “Small World” gibt es “Rassen” und ebenfalls “Eroberung”, was besser durch “Charaktere” und vielleicht “Ausbreitung” übersetzen ließe. Generell sollte bei Übersetzungen Sorgfalt in der Wortwahl walten. Dabei sollte die Etikette der Vermeidung von “agressiven” Wörtern eingehalten werden.

Original-Bezeichnungen

Manche Bezeichnungen sind so eindeutig, dass eine Übersetzung ins Deutsche nicht immer Sinn macht. In diesem Fall sollte konsequent die Original-Bezeichnung angewendet werden. Es kann Sinn machen, die Bezeichnungen in einem der Anleitung beigefügten Glossar näher zu erläutern.

Layout und Textlänge

Der Text einer übersetzten Spielanleitung sollte mit Rücksicht auf das Layout nicht kürzer oder länger sein als die Spielregel in der Original-Sprache. Die wenigsten Verlage entwickeln unterschiedliche grafische Layouts für die Spielanleitungen, so dass hier ein bestimmter Rahmen vorgegeben ist.


Dieses Tutorial soll ständig weiterentwickelt werden. Die aktuelle Version ist V 2.0 Daher freuen wir uns über Dein Feedback. Du kannst über das Kontaktformular mit uns in Verbindung treten, wenn Du Anregungen oder Ergänzungen vorschlagen möchtest oder eine Spielanleitung erstellen oder überarbeiten lassen möchtest.

2 Kommentare zu „Spielanleitungen – Tutorial

  • 22/08/2016 um 17:49 Uhr
    Permalink

    @Gerald: guter Hinweis. Vielen Dank. Die persönliche Ansprache finde ich eigentlich besser. Einheitlichkeit bei Ansprache und Bezeichnungen ist auf jeden Fall wichtig für eine schlüssige Spielanleitung.

  • 22/08/2016 um 16:27 Uhr
    Permalink

    Noch ein Hinweis zur Durchgängigkeit: Englische Regeln und Spielmaterial nutzen oft die direkte Ansprache an den Spieler etwa „You need to pay $1 for each token“, was man durchaus mit „Du musst pro Plättchen $1 zahlen“ übersetzen kann. Tatsächlich werden aber im Deutschen stattdessen gerne Passivformen mit Modalverben verwendet, etwa „Je Plättchen muss $1 gezahlt werden“. Beides ist ok, sollte aber in der Regel einheitlich sein.

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