„Bei diesem Spiel handelt es sich um ein Memory-Spiel.“ Mit diesen einleitenden Worten kann man mich prinzipiell immer in sofortiges Desinteresse stürzen, denn es ist für mich ein unspannendes, unmodernes Spielkonzept, einfach nur gleiche Pärchen zu finden, mit dem ich aus heutiger Sicht nur ungern meine Zeit „verschwende“.

Zudem ist es für mich eine Mechanik für Kinderspiele, wo es wiederum ein geeignetes Spielprinzip darstellt. Es funktioniert dort auch gut, da man sich ja noch alles merken kann und es zudem auch schulischen Nutzen hat. Heute bin ich da einfach nur schlecht, womöglich fühlt sich der ein oder andere erwachsene Spieler genau an diesem Punkt nun sogar ertappt und fühlt mit mir. Also wieso sollte ich freiwillig noch eines dieser meiner Meinung nach unsäglichen Memory-Spiele auspacken und auf den Tisch bringen?

Ok, fairerweise sei gesagt, dass es sich jetzt hierbei um eine Neuheit vom noch frischen Kleinverlag „Edition Spielwiese“ aus Berlin handelt. Dieser ist letztes Jahr positiv in Erscheinung getreten durch „Cottage Garden“, welches von Uwe Rosenberg entwickelt wurde und ein schönes Familienspiel ist. Vertrieben wird nun „Memoarrr!“ bei Pegasus und die Schachtelgrafik zeigt schon ein charmantes Piratenthema mit lustigen Tieren, durchaus stimmig illustriert.

Zudem möchte ich noch anmerken, dass ich mich schon beim im letzten Jahr zum Kinderspiel des Jahres nominierten, „Leo muss zum Frisör“ etwas getäuscht hatte, welchem auch eine Memory-Grundmechanik zugrunde liegt. Dort ist sie allerdings moderner verpackt und hat durchaus Ihren Reiz., insbesondere wenn man es mit Kindern spielt. Ich hab mich also schon mal teilweise etwas geirrt, was meine Vorbehalte anging. Und bei „Memoarrr!“ habe ich mich noch viel mehr geirrt.

Spielaufbau und Ablauf sind hier leicht erklärt:

„Memoarrr!“ besteht aus 25 quadratischen Grundkarten, welche 5 verschiedene Tiere auf 5 unterschiedlichen Hintergründen zeigen, immer in einer anderen Kombination. Diese werden in einem Raster aus 5×5 Karten ausgelegt und die zentrale Karte wird ungesehen entfernt. Der frei gewordene Platz wird mit 7 Schatzkarten aufgefüllt, die eine unterschiedliche Anzahl an Rubinen zeigen (von 1-4). Darauf kommen noch, der Spieleranzahl (2-4) entsprechend, Vulkankarten. Nun schaut sich jeder Spieler noch geheim die mittigen 3 Karten der ihm nächstgelegenen Reihe an und versucht, sich diese einzuprägen. Alle Karten bleiben während der gesamten Partie in Ihrer Position unverändert. Jetzt kann es losgehen.

Nun deckt jeder Spieler reihum genau eine Karte auf. Ist diese mit der vorherig aufgedeckten Karte übereinstimmend in entweder Tierart oder Hintergrund, geht es mit dem nächsten Spieler weiter. Wenn es keine Übereinstimmung gibt, nimmt sich der Spieler, der die falsche Karte aufgedeckt hat, vorher noch die oberste Vulkankarte und scheidet somit für den Rest der Runde aus. Er wird nun solange beim Aufdecken übergangen, bis nur noch ein Spieler übrig ist, der sich zur Belohnung die nun freigelegte oberste Schatzkarte nehmen darf und ungesehen vor sich ablegt. Danach werden alle Karten wieder umgedreht, es kommen alle Vulkankarten wieder zurück auf den Schatzkartenstapel und es beginnt eine neue Runde. Nach der siebten Runde wurde die letzte Schatzkarte geschnappt und es gewinnt derjenige mit den meisten erbeuteten Rubinen.

Trotz dieses total simplen Spielprinzips oder vielleicht auch gerade deswegen versprühte „Memoarrr!“ in bisher allen gespielten Partien mit sämtlichen Mitspielern eine schier unbeschreibliche emotionale Faszination. So ziemlich alle spielrelevanten Facetten werden hierbei aufgerufen. Man freut sich über richtig aufgedeckte Karten, ärgert sich aber genauso über seine Gedächtnisschwäche oder einfach nur über sein Pech. Manch einem ist die Anspannung und Angst, gleich die falsche Karte aufzudecken, ins Gesicht geschrieben und der emotionale Ausbruch folgt zugleich.

Dennoch bleibt man angespornt, gerade weil man ja nie weiß, wie viele Rubine bisher erbeutet wurden. Mit ein wenig Glück könnte ja der eine Schatz, den man vielleicht noch erbeutet, der prall gefüllte sein. Oder man hat 3 Schätze vor sich liegen, hat aber nur 3 Rubine ergattert. Alle Teile des Spiels fügen sich zu einem stimmigen Ganzen zusammen und das mit so wenigen Mitteln, dass es eigentlich jeder recht schnell verinnerlicht.

Klar muss man sagen, dass gedächtnisstarke Leute im Vorteil sind, das ist dem Grundprinzip geschuldet. Allerdings dauert es meist nicht lange, bis man eine neue Chance erhält, sich zu „beweisen“ oder eben wiederum kläglich zu versagen. Das ist tatsächlich nicht nur witzig, sondern funktioniert fast schon autodidaktisch. Und selbst wenn man ausscheidet, fühlten sich in unseren Runden selten Mitspieler mit Langeweile geplagt, denn man kann die Zeit ja nutzen und sich versuchen zu merken, was die anderen so aufdecken, oder man erfreut sich einfach nur an den Emotionen. Auch die Wahrscheinlichkeit von Trash-Talk war bei uns oft sehr hoch, es fielen immer wieder Sätze wie „Gibts nicht, wo ist dieser behämmerte Pinguin nochmal“ oder „Ich weiß noch mindestens 2 Krabben, aber wo“.

Einmal sagte ein Mitspieler: „Dieses Spiel kommt direkt aus der Hölle, oh mein Gott“ und deckte prompt eine falsche Karte auf. Als man Ihn dann was fragte, kam nur die Antwort „Pssst, muss mich konzentrieren“, während sein Blick in Richtung Auslage starrte. Oder man befindet sich in einem Dilemma und deckt einfach mal mit Glück etwas richtiges auf. Während sich alle anderen kopfschüttelnd ärgern, ist die Schadenfreude beim Glückspilz meist riesig und währt dann nur 2-3 weitere Karten, bis sich die eigenen Mundwinkel verdutzt wieder nach unten ziehen „wie, schon wieder ich?“ Genau solche Momente machen „Memoarrr!“ tatsächlich zu etwas besonderem, aber nicht, weil es völlig einzigartig ist, sondern weil die Mischung so leichtgängig ist und in etwas Sympathischem verpackt ist.

Denn die Unterscheidbarkeit der Illustrationen und die Farbauswahl ist durchweg gelungen, nicht zu markant, aber auch nicht zu ähnlich. Das ist elementar wichtig bei einem Merkspiel. Und falls man noch eine Runde dran hängt, wird es erst richtig kompliziert, da man sich plötzlich auch noch dabei ertappt, Dinge aus der vorherigen Partie mit in die aktuelle zu schleifen. Jaja, das Gedächtnis kann einem so manchen Streich spielen.

Apropos, sehr witzig ist auch noch die Expertenvariante für alle, die meinen, sie hätten schon alles im Griff. Hier erhalten dann alle aufgedeckten Tiere noch eine einzigartige Sonderfunktion, die alles wieder durcheinander bringen kann. Wenn man z.B. dem nächsten verbieten kann, eine bestimmte Karte aufzudecken, um sie sich selbst zu sichern. Das kann man dann sogar als Bluff verpacken, nur um in der nächsten Runde zu sehen, wie jemand drauf reinfällt. Oder man muss/darf sofort eine weitere Karte aufdecken, was den Spielrhythmus durcheinander wirbelt. Auf die Spitze getrieben wird das Verwirrspiel dann noch durch den Octopus, den man dann auch noch mit einer angrenzenden Karte tauscht.

Seine Stärken spielt „Memoarrr!“ wohl am ehesten in voller Besetzung aus, aber dennoch gefiel es uns sogar noch gut genug zu zweit, um es auch immer mal auf den Tisch zu bringen. Am besten begegnet man sich hier natürlich, wie in allen Duellen, auf Augenhöhe. Und hier gilt durch einen gewissen Trainingseffekt mehr denn je das Sprichwort „Was nicht ist, kann ja noch werden“

Fazit:

Am Ende bleibt mir wirklich nur ein Bitte: Gebt diesem Spiel, trotz aller Vorbehalte eine Chance. Memory-Müdigkeit hin oder her, es handelt sich in meinen Augen tatsächlich um eine sympathische kleine Spielspaßperle, die für mich so kaum zu erwarten war. Als Einsteiger in einen spaßigen Spieleabend oder als auflockerndes Element für zwischendurch, als Mitbringspiel für einen Besuch bei den Verwandten, mit oder ohne Kinder, „Memoarrr!“ funktioniert einfach, egal welcher Spielertyp Ihr seid.

Dabei wirkt das Prinzip trotz des zugrunde liegenden altbekannten Mechanismus irgendwie frisch und durch die Kniffe mutet er fast schon unverbraucht an. Ich habe mich mehrmals gefragt „Wieso ist bisher niemand auf diese Idee gekommen“

Das Gesamtpaket bietet somit, trotz kleiner Schachtel und relativ überschaubarem Material, genug Abwechslung, um von mir die Bezeichnung „rund“ zu erhalten. Und der Preis ist mit knapp 10€ UVP absolut angemessen. Wenn man ihn auf die gespielten Partien aufrechnet, ist es für mich sogar ein No-Brainer und lohnt sich zudem auch als kleines Geschenk allemal. Da wundert es mich auch nicht mehr, wieso man bei der BerlinCon, wo das Spiel seinen Verkaufsstart hatte, teilweise Leute mit gleich 2-3 Exemplaren hat rumlaufen sehen können.

„Memoarrr!“ schafft es für mich, genau das zu bieten, was es möchte: emotionsgeladene Partien, die meist nicht lange dauern, und nebenbei noch Euer (eingerostetes?) Gedächtnis etwas auf Vordermann bringen. Und wer weiß, womöglich ist es ja auch etwas, was Ihr beim Spielen möchtet. Und wenn nicht, macht es halt einfach nur mal schnell Laune.

Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Edition Spielwiese (Vertrieb: Pegasus Spiele)
Autor: Carlo Bortolini
Illustration: Pablo Fontagnier
Spieler: 2 – 4
Alter: ab 8 Jahre
Dauer: 15 Minuten

Memoarrr!
Markiert in:         

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du Dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner personenbezogenen  Daten (z.B der IP- Adresse) durch diese Website einverstanden.