Stellungnahme zum „New Boardgame Journalism“

Unter dem Stichwort „New Boardgame Journalism“ hat Guido Heinecke auf der Seite Tric Trac dazu aufgerufen, die Berichterstattung über Gesellschaftsspiele lebendiger zu gestalten und dabei neue journalistische Formate zu finden, die Interessierte an das Kulturgut Gesellschaftsspiel heranführen können. Dabei sei es legitim, den Kollegen der Videospiel- Szene über die Schulter zu schauen und deren “Let’s Play” – Videos oder ähnliche Formate auf Spiele am Tisch zu übertragen. Die Reportagen sind dadurch gekennzeichnet, “…durch Selbstreflexion der Seele eines Spiels auf den Grund zu gehen: Was passiert mit mir, wenn ich spiele? Welche Gefühle kommen auf, was fasziniert?….”

Einige Tage habe ich nun darüber nachgedacht, ob der Guido vielleicht auch uns meint, wenn er schreibt: “….Immer wieder kritisiere ich den berühmten 10-80-10-Stil vieler Seiten. Das sind zehn Prozent Einleitung, achtzig Prozent Regelparaphrase und zehn Prozent Bewertung. Am besten noch mit Punkten. Denn, liebe Autoren, ihr klaut den Lesern Zeit. Deswegen scrollen die alle zum letzten Absatz runter und überfliegen das Resümee…..”

Weiterhin habe ich dann überlegt: Wie reagiere ich denn nun darauf? Schreibe ich einen langen Artikel zum Thema oder nur einen kurzen Tweet, in dem ich unseren Rezensionsblog rechtfertige und verteidige? Den Versuch, einen ausführlichen Artikel zu schreiben, habe ich jedenfalls nun abgebrochen und möchte stattdessen ein in der Bloggerszene sehr gängiges (New Journalism?!) – Format wählen: eine 10-gute Gründe-Liste. Solche Listen werden in der Bloggerszene als so genannte “Linkbaits” erstellt um damit eine hohe Zahl an Verlinkungen zu erzielen, die sich wiederum positiv auf das Suchmaschinen- Ergebnis auswirken. Das wiederum habe ich hier selbstredend nicht im Sinn, sondern möchte es nur als Format-Beispiel angeben. In der Brettspiele – Bloggerszene findet man außer Spielecharts und “Gern gespielt“ / „Spiel des Tages“ / „Monats“ /- Rubriken kaum solche Linkbait – Listen.

Da wir eher aus dem Background “Blogging” kommen, als aus dem klassischen Journalismus, hier nun:

10 gute Gründe für eine Diskussion über “New Boardgame Journalism”

1.  Der Aufruf dazu, neue Berichterstattungs – Formate zu erfinden

Wir finden, dass es   “klassische” Rezensionsseiten und Spieleblogs geben darf, denn es gibt ebenso eine große Vielfalt an Spielen und noch mehr an Wahrnehmungen und Meinungen. Und es gibt Leser, die gern Rezensionen lesen. Rezensionen sind gut oder weniger gut geschrieben, je nachdem, ob der Rezensent sich genügend Zeit für das Spielerlebnis genommen hat und ob er sich gut oder weniger gut ausdrücken kann, egal ob Journalist oder nicht.

Dennoch begrüßen wir ausdrücklich Guidos Anregung, neue Formate zu probieren und zu etablieren, mehr Nähe und Leidenschaft zu zeigen, sowohl in neuer, als auch in der etablierten Form.

2. Brettspiele und Videospiele inspirieren sich gegenseitig, warum nicht auch deren Berichterstattung?

Wir haben vor Kurzem über Doodle Jump geschrieben und dies aus der Sicht des Brettspiels getan. Es ist eine klassische Rezension geworden, Wie wir sehen, gibt es dieses Format aber auch bei den Kollegen aus den Videospiel – Blogs. Umgekehrt gibt es bei den Brettspieleseiten immer mehr Unboxing- Videos, ein Format, das schnell erstellt ist und eigentlich aus der Tech-Scene stammt, wo es immer wieder Unboxing-Streams zum neuesten Technik Gadget gibt.

2. Viele neue Formate sind schon da und warten auf Verwendung!

Wir finden, dass die Entwicklung neuer Formate bereits im vollen Gange ist. Die Möglichkeiten, die uns hier das Internet bietet, sind sehr vielfältig und längst nicht ausgeschöpft. Wir haben Videos und Podcasts, die noch weiteres Potential bergen. Was ist zudem mit Hang-Outs? Blogparaden? BarCamps? e-books?   Immer wieder entstehen neue weitere Angebote, insbesondere auch  im Bereich Social Media. wo wir uns an das Zusammenspiel von  Wordpress-Blogs, Twitter und Facebook langsam gewöhnen, aber Pinterest,  Tumblr (ich meine hier die Besonderheit des offenen sharing) und andere zukünftige Kommunkationsformen lassen sich – auch journalistisch – kreativ und interaktiv nutzen.

4. Die Zielgruppe da draußen finden!

Wir haben vor Kurzem über Doodle Jump geschrieben. Warum eigentlich? Weil unsere Leser-Zielgruppe die Würfelspieler am Tisch sind.  Wenn ich einen Test zur APP lesen möchte, suche ich mir wohl ein Videospiele – Magazin und lese es wahrscheinlich eher da. Aber wer ist unsere Zielgruppe? Liest uns überhaupt jemand? Solche (manchmal rhetorischen) Fragen sehen wir öfter mal auch  in den bekannteren Spieleseiten.

Die Antwort darauf gibt die Reaktion auf die Beiträge. die über Kommentare, Mails und Social Media zurückkommen. Wenn das bei uns ausschließlich die Szene selbst wäre, hätten wir es wohl nicht lange durchgehalten, den riesigen Zeitaufwand für Spielen, Meinung bilden und dann darüber zu schreiben, zu betreiben. Aber wir wissen: Da draußen sind sie, Die Selten-Spieler, Die Monopoly/Risiko/Spiel-des-Lebens – Fraktion, die auf der Suche nach Neuem ist, Und sie lesen bei uns und Bei Euch.

5. Spielejournalismus = Kunst oder Kommerz?

Ein heikles Thema: Die Abgrenzung der Spielerszene und seinem Journalismus von der Spiele Industrie bringt in der Diskussion einigen Zündstoff mit sich und dies nicht zum ersten Mal. Das Besondere: Die “Branche” ist sehr klein und besteht aus vielen “Quereinsteigern”, allerdings immer aus (Brett-) Spielern, auch auf der kommerziellen Seite.

Die Verlage haben ein Marketing –  Interesse daran, dass ihre Spiele in den Spieleseiten und -Videos vorgestellt werden, denn sie möchten verkaufen. Und sie bedienen sich dabei ebenfalls neuer Marketingformate, wie die Diskussion zu den “Sponsored Posts” gezeigt hat. Auch das Andor-”Alternate Reality-Game” war eine an Journalisten gerichtete Marketing-Aktion, die höchst originell war, jedoch die berechtigte Frage aufwirft, wo an dieser Stelle der neutrale Journalismus bleibt und ob die Aktion die Berichterstattung über das Spiel beeinflusst haben könnte.

Könnte man sogar noch weitergehen und  die These aufstellen, dass alle Spieleseiten, die Shops betreiben oder Amazon /Spiele-Offensive – Banner aufhängen, eigentlich nur “Content-Marketing” betreiben und auf “gezielte Gewinnerzielung” aus sind?

Die Antwort darauf lautet aus meiner Sicht: Nein! Denn man darf annehmen, dass es allen auch um das Kulturgut Gesellschaftsspiel geht und jeder Interesse an der Refinanzierung seiner Arbeit hat. Eine Erklärung dazu könnte sein, dass “…noch kaum funktionierende Refinanzierungsmodelle für Journalismus im Netz gefunden worden sind, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Wirtschaftlich stellt das Internet den Journalismus vor große Herausforderungen.”  (Zitat Dr. Christian Stöcker Spiegel Online, stellv. Ressortleiter Netzwelt) Quelle: https://www.blm.de/de/pub/aktuelles/magazin_tendenz/online-artikel/internet_und_journalismus.cfm

6. Videos ergänzen Schriftform

Wir haben bisher bewusst auf Videos zu Spielen verzichtet, weil wir uns derzeit nicht imstande sehen, dies authentisch abzubilden. Die Schriftform liegt uns mehr und wir denken, dass Videos die Schriftform niemals vollständig ablösen werden, eher ergänzen.

Einer unserer Lieblings -Videoblogs über Brettspiele ist das leider inzwischen eingestellte  “Games with Hayden”! Ein kleiner 10-jähriger Junge beurteilt vor laufender Kamera die Spiele, die er gespielt hat und ruft dazu auf, den Fernseher auszuschalten und stattdessen hochwertigere Familienabende mit einem Brettspiel zu verbringen. Authentischer kann es nicht sein! Liebe Kinder: bitte nachmachen!

Wir schauen auch sehr gerne weitere Brettspiel – Videoseiten an. Hier gilt dasselbe, wie bei den Rezensionen: Es gibt weniger gute und sehr gut gemachte Rezensions – Videos und manche guten Regelerklärungs – Videos.  Spannend wird es jedoch bei den originellen, neuen Formen.  Will Weatons Table Top Serie  setzt hier einen Maßstab, der interessante Züge hat: Die Spieler übernehmen die Art, wie er mit Spielen umgeht. Beispiel: Bei „Hai-Alarm“ (Get Bit, ab Minute 19:27) formen Wheatons Leute ihre Schwimmer zu lustigen „Silly Walk“ – Figuren um. In Essen fragten Besucher am Stand nach dem Spiel und taten exakt dasselbe. Das nenne ich Spielkult!

7. Spieler-Leben vs. Spiel-Er-Leben

In Anleihe an den genialen Seitentitel des geschätzten Kollegen Martin “Zwecklos” Klein möchten wir Guido im Kern seiner Thematik bestärken. Es geht  auch uns um das “Erleben” eines Spiels aus subjektiver (Innen-) Sicht des Spielers. Zugegeben gelingt es uns nicht immer, das wiederzugeben. Unbestritten ist aber, dass es beim Erleben eines Spiels große Unterschiede in  der Wahrnehmung gibt und wir unterschiedliche Meinungen zu einem Spiel, wie wir sie zum Beispiel öfter bei Matthias „Darkpact“ Nagy finden, sehr schätzen.  Wir verwenden auf unserer Seite daher kein Wertungssystem auf Basis von Noten und möchten unsere Leser nicht dazu verleiten, ein Spiel nur wegen seiner guten Schulnote zu kaufen.

Manchmal bietet sich auch die Chance, ein wenig aus dem „Spieler-Leben“ zu berichten, wie  beispielsweise unser Catan – Themenabend  zeigt, für den wir insbesondere von Catan- Fans einigen Zuspruch erhalten haben. Wir werden diese Diskussion daher zum Anlass nehmen, nach Möglichkeiten zu suchen das „Spieler-Leben“ ein wenig mehr zu beleuchten.

8. Print Lebt! (noch?)

Der Wandel der Zeiten bringt es mit sich, dass es Zeitungen und Zeitschriften als Druckformat immer schwerer haben und Online eine immer größere Rolle spielt. Aber noch gibt es sie und wir alle freuen uns, wenn die druckfrische Spielbox im Kasten liegt. Nebenbei bemerkt: Sie hat anderen Zeitschriften etwas voraus, das unserer Spieler- und Sammlerseele direkt beglückt: Erweiterungsbeilagen zu aktuellen Spielen.

Gelegentlich sieht man auch in traditionellen Zeitungen und Wochenblättern Rubriken, in denen Gesellschaftsspiele vorgestellt werden und das ist gut so. In meiner Anfangszeit in den 90ern war es genau so etwas, das mich zu anderen Spielen als den Klassikern gebracht hat. Derjenige, der damals die Rezi in der Zeitung verfasst hat, führt heute erfolgreich einen Fachhandel für Brettspiele mit angeschlossenem Videoblog.

9. Gesellschaftspiele gehören auch ins Fernsehen

Ein weiterer Blick in die Vergangenheit. Welche zwei Fernseh- Ereignisse haben als Kind oder Jugendlicher mein Interesse für Brettspiele geweckt? Zum einen die legendäre MB – Spielewerbung, die immer noch unerreicht ist, zum anderen die Serie “Schach der Großmeister” von Helmut Pfleger, ausgestrahlt im WDR. Beides sind nicht wirklich journalistische Formate, aber Ersteres war damals erfrischend und begeisternd, zweiteres war höchst innovativ und eigentlich die erste “Let´s Play “ – Serie der Welt. Sprung in heutige Zeit: Immerhin schafft es die Spielemesse in Essen zu einem kleinen 3-minütigen Bericht ins Morgenmagazin. Ein Hoffnungsschimmer.

10. Das Internet verändert den Journalismus

Die Diskussion zeigt, dass Vieles miteinander vermengt wird: Marketing, PR, Journalismus, Medienkompetenz. Das (die Vermengung) ist u.a. auch eine der Ureigenschaften des Internet, mit dem sich vor allem klassischer Journalismus offenbar schwer tut. Schlecht ist es aber für sich genommen nicht, da es Wandel repräsentiert. Deshalb möchte ich abschließend erneut Dr. Stöcker das Wort geben, wenn er schreibt:

“Das Internet verändert den Journalismus – so viel ist sicher. Verbessern kann es ihn, wenn Journalisten sich den immensen Zuwachs an Recherche-  Möglichkeiten, die Chance, mit dem Leser/Hörer/Zuschauer in unmittelbaren Kontakt zu treten, den schnellen Zugriff auf die neue Öffentlichkeit da draußen und die fantastischen Möglichkeiten multimedialer Berichterstattung in sinnvoller Weise zunutze machen. “

Quelle: https://www.blm.de/de/pub/aktuelles/magazin_tendenz/online-artikel/internet_und_journalismus.cfm

Verfasser dieses Artikels: Jens Tielke, Dez. 2013